Prozesse analysieren – nur was für Profis oder doch gar nicht so schwer?
Pauschal ist das natürlich nicht zu sagen. Sicherlich spielt Erfahrung und eine Portion von Basiswissen eine Rolle.
Aus meinen fast 20 Jahren Prozess- & Projektarbeit habe ich versucht. die wesentlichen „Gebote“ darzustellen, mit der sich Prozesse einfach und ohne zusätzliche Tools analysieren lassen.
In nicht priorisierter Abfolge.
1. Du sollst naiv bleiben
Von kleinen Kindern können wir viel lernen. Kinder stellen ständig Fragen und hinterfragen. Kinder kennen kein „das haben wir schon immer so gemacht“ ; sie probieren regelmäßig aus und entdecken Neues.
Wenn man einem Kind ein Spielzeug hinstellt, welches es noch nie gesehen hat, dann fängt es an zu testen und findet für sich selbst heraus, wie es das Spielzeug am besten nutzen mag. Da ist es egal, was in der Gebrauchsanweisung steht.
2. Du sollst die Mitarbeiter fragen
„Das Geld liegt auf der Straße, man muss es nur aufheben“, so lautet eine alte Business-Weisheit. Mit der Prozessanalyse ist es genau dasselbe. Die eigenen Mitarbeiter wissen meistens genau, wo es nicht rund läuft oder wo Verbesserungspotential besteht.
Die eigentliche Kunst ist, mit den richtigen Fragen die richtigen Antworten zu bekommen und die Ursachen für die Probleme zu finden.
3. Du sollst über den Tellerrand schauen
Oftmals steckt man so tief in seinen Gewohnheiten, dass man einfach nichts mehr anderes sehen kann. In diesem Fall ist es hilfreich, „Nicht-Beteiligte“ mit einzubeziehen, die nicht vorbelastet sind. Das müssen nicht immer Externe sein, sondern können auch Mitarbeiter aus anderen Abteilungen sein.
Zudem rate ich gerne, sich in anderen Branchen umzuschauen und sich Inspirationen zu holen.
4. Du sollst mit einfachen Sachen anfangen
Eine Weltumrundung beginnt mit dem ersten Schritt.
Viele wollen zu viel und das zu schnell. Es gibt viele einfach und schnell zu erreichende Ergebnisse, die in Summe das Leben viel leichter und die Prozesse besser machen.
Eine wichtige Sache: vor der Digitalisierung kommt die Optimierung der analogen Prozesse. Erst dort aufräumen, und dann das Richtige richtig digitalisieren.
5. Du sollst alle Perspektiven berücksichtigen
Eine Aufgabe kann aus vielen verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Aus der Perspektive des Anwenders / Durchführers. Aus der Sicht der Führungskräfte / des Managements. Aus der Sicht der vor- und nachgelagerten Teams. Aus der Perspektive der IT, welche die Aufgabe mit den Systemen unterstützen wollen. Usw.
Wichtig bei der Analyse ist es, alle Perspektiven zu untersuchen. Zudem müssen immer Aus- und Wechselwirkungen geprüft werden. Diese liegen nicht immer im näheren Umfeld, sondern können in „weit entfernten“ Prozessen auftreten. Deswegen ist eine ganzheitliche Betrachtungsweise unerlässlich.
6. Du sollst eine einheitliche Bewertungsbasis schaffen
Die Sache mit den Äpfeln und Birnen ist bekannt. In de Prozessanalyse passiert das leider oft.
Es ist wichtig, dass alle Beteiligten das gleiche sehen. Und noch viel wichtiger: das gleiche verstehen.
Denn sehen ist nicht gleich wissen ist nicht gleich verstehen!
Meine Empfehlung: eine einheitliche Dokumentationsbasis mit klaren Regeln und einer klaren Syntax. Das können Prozessmodelle, aber auch einfache Excel-Tabellen sein, bei denen klar getrennt und geregelt ist, in welchem Feld welche Informationen stehen. Einzelne Informationen, das ist besonders wichtig, um konkret zu bleiben.
7. Du sollst dich von Altem trennen
Weniger ist mehr. Einer der ersten Schritte der Prozessanalyse sollte sich darum drehen, was man alles weglassen kann, weil es nicht mehr benötigt wird.
Das fängt bei unnötigen Papierausdrucken an und hört mit nicht benötigter Information / Kommunikation aus.
8. Du sollst nicht nur auf Zahlen schauen
Prozessanalyse? Da wird schnell der Taschenrechner gezückt und es wird hoch- und runtergerechnet, was wann wo gespart werden kann.
Nicht falsch verstehen. Selbstverständlich ist es wichtig, dass man sich eine vernünftige Entscheidungsbasis verschafft. Und da gehören Zahlen, Daten, Fakten halt dazu.
Aber nicht immer ist der Nutzen quantitativ mess- und bewertbar, zumindest auf den ersten Blick. Entlastung, weniger Stress, mehr Zufriedenheit…das alles kann ich versuchen zu messen. Aber man sollte einfach mal akzeptieren, dass es qualitative Verbesserungen gibt, an die man nicht oder zumindest nicht gleich ein Preisschild hängen kann.
9. Du sollst nach Brüchen Ausschau halten
Wo wechseln plötzlich Verantwortlichkeiten? Wo werden plötzlich andere Systeme genutzt? Wo sind Schnittstellen zu anderen Teams & Abteilungen?
Und wo wechselt es besonders oft hin und her?
Medien- & Rollenbrüche sind neben (vielen) Prozess-Schnittstellen ein deutliches Zeichen, dass vermutlich was verbessert werden kann.
10. Du sollst visuelle Modelle nutzen
Bilder sagen mehr als 1000 Worte. Für die Prozessanalyse trifft das auf Prozessmodelle zu.
Sie ermöglichen es, auch ungeübten Lesern schnell und einfach zu verdeutlichen, wo gerade etwas nicht rund läuft.
Mit entsprechenden Modellierungs-Systematiken können geübte Nutzer noch viel schneller und besser arbeiten.
Mehrfach waren meine Kunden erstaunt, dass ich Prozessmodelle sehr zutreffend „aus der Ferne“ analysiert habe, ohne überhaupt den Inhalt der Symbole gelesen zu haben. Zugegeben, da gehört jede Menge Erfahrung dazu, aber Prozessmodelle sind und bleiben das Top-Werkzeug zur Prozessanalyse. Punkt.
In diesem Sinne: Amen und viel Erfolg bei eurer Arbeit!
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